Ausstellung Thema: "Elternhaus" Texte

Datum: 29./30. Juni 2013

zum Tag der Architektur 2013

in der Galerie mit Weitblick Radebeul

 

I. Rückkehr

 

Wir kehren gern oder ungern zurück in unsere Elternhäuser, mit Freude oder mit Beklommenheit. Elternhäuser erwecken vergessene Gefühle, überkreuzen sich mit der eigenen, selbstgeschaffenen Welt. Es gibt unausgesprochene, unbewältigte Gedanken, innere Konflikte oder liebevolle Geborgenheit. Wir keh­ren zurück in eine bekannte und trotzdem fremde Welt. Wir betrachten sie mit der Distanz des Besuchers. Die alten Zwänge, die einengenden Konventionen, die überkommenen Gewohnheiten kehren wieder zurück. Bisweilen sind wir ent­täuscht oder erstaunt, wenn wir die alten Freunde treffen. Wir betrachten die Landschaft, die Heimat, das besondere Licht, die Geräusche voller tief empfunde­ner Gefühle. Bisweilen finden wir diese Welt verändert, entstellt oder sie ist gar verschwunden. Es war der Ort des Aufbruchs, der schmerzlich erkämpften Frei­heit, der ersten Liebe, der tiefen Freundschaft, des Abenteuers, der Streiche. Wir verlassen unser Elternhaus voller verwirrender Gefühle, angefüllt, froh dieser Welt zu entkommen, und trotzdem brauchen wir sie, kehren immer wieder zurück aus Freude, Pflichtgefühl, mit Stolz, sind enttäuscht, gestärkt, entlastet oder ermüdet.

 

 

II. Herkunft

 

Elternhaus ist ein Synonym für unsere Herkunft. In unserer modernen Welt ist die Bedeutung der Herkunft nahezu verschwunden. Wir denken jeder soll die glei­chen Chancen haben, egal aus welchem Elternhaus er stammt. Mit dem Bedeu­tungsverlust der Herkunft ist auch die Weitergabe der Objekte, deren Bedeutung an die Herkunft geknüpft war, unterbrochen. Die Eltern selbst vernichten in der Regel bereits ihre Erbstücke, indem sie die eigenen Möbel, Bilder, Einrichtung, Ta­peten oder sogar ganze Häuser je nach Mode in relativ kurzen Zeitabständen er­neuern. Wir kreieren eine Pseudoherkunft (Antiquitäten) oder eine Pseudoatmo­sphäre mit Pseudoerinnerungsstücken (Ikea). Wir sind frei in der Gestaltung un­serer Welt und wir sind befreit von allen Traditionen. Familientraditionen sind von uns verdrängt, und in diese Lücke sind Einrichtungshäuser, Shopping-Center oder die Antik-Händler und Flohmärkte getreten. Der scheinbare Vorteil der Er­satzobjekte liegt in ihrer Austauschbarkeit. Ohne moralische Bedenken können sie erneuert oder entsorgt werden je nach Laune und Stimmung. Es sind Gebrauchs­objekte. Der gesellschaftliche und kulturelle Verlust, der mit dem Verschwinden der Herkunft einhergeht, ist jedoch immens. Unser Relativismus führt zu dem von vielen Menschen gespürten Mangel an Tiefe, der verzweifelten Suche nach Sinn und dem Verlust der Werte. Traditionen werden, da den menschlichen Beziehun­gen entzogen, nur noch als leblose Hüllen, als Mode, als spaßige Zutat oder als „Event“ (z.B. Oktoberfest) wahrgenommen. Es ist deshalb auch nicht verwunder­lich, dass ihr Gebrauch entweder als fragwürdig und nicht zeitgemäß wahrge­nommen wird (moderne Haltung) oder sich der Traditionen aus einem Sammel­becken je nach Mode und ohne Bezug zur Herkunft bedient wird (postmoderne Haltung). Man kann behaupten, dass der Bedeutungsverlust der Herkunft oder des Elternhauses, so wünschenswert er für die freie Entwicklung des Individuums auch ist, erkauft wird mit einer Überbewertung des Materiellen, dem Verlust an Tiefe, dem Mangel an Beziehungen, dem Verlust an Werten und Geschichte, der in einen zynischen Relativismus führt.

 

 

III. Erinnerung

 

Egal wie wir zu unserem Elternhaus stehen, ob wir mit Freude daran zurückden­ken oder ob wir es aus unseren Gedanken verbannen, es ist ein Ort der Erinne­rung. Zumeist erinnern wir uns an die Kindheit und Jugend, an die Unbeschwert­heit, die Schuldlosigkeit. Diese Erinnerungen werden zuweilen von uns aufgeru­fen. Wir vergleichen mit der Gegenwart. Wir empfangen die Erinnerungen von unseren Eltern und unsere Eltern erzählen sie unseren Kindern. Wir erzählen un­sere Geschichte unseren Kindern und deren Enkeln. Dazu kommen die Dokumen­te der Erinnerung: Fotografien, Filme, Briefe, Bilder usw. Oft erinnern wir uns an besondere Anlässe, die Feste insbesondere, das Essen, Besuche, Freunde, Gerü­che, das besondere Licht, die Landschaft, die Jahreszeiten usw. Wir tragen in uns unbewusst einen tiefen Erinnerungskomplex aus sinnlichen Erfahrungen, die sich den Erinnerungen an das Elternhaus zuordnen lassen. Manche Dinge lassen sich in der Erinnerung nicht mehr genau rekonstruieren. Wir können uns nicht objek­tiv erinnern. Wir haben selektiert und bewertet. Manche Dinge haben wir uns zu­sammen komponiert, um sie in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Bisweilen werden wir sentimental, wenn wir zurückdenken. Ein verlorenes Glück lässt uns voll Schwermut sein. Es gibt Erinnerungsorte und Gegenstände, Stimmungen, Geräusche, z.B. ein bestimmtes Zimmer, eine Tür, eine Klinke, welche in uns Assoziationen hervorrufen. Wir kennen sie und sie begegnen uns an anderen Orten. Wir haben die Herkunft unserer Erinnerung längst vergessen und sind erstaunt über diese eigenartige Begegnung mit unserer Vergangenheit, die so ganz gegenwärtig erscheint.

 

 

V. Annäherung an das eigene Elternhaus

 

Tagebucheintrag: ...Natürlich kann ich nicht irgendwo ansetzen. Meine Quellen sind jene zu denen ich in eine enge Beziehung treten kann. Die Zeit muss keinerlei Bedeutung für mich haben. Es darf nur nicht willkürlich sein. Das Thema muss mir etwas bedeuten, mich mit etwas verbinden. Nochmal schaue ich mir das Dia an. Die lichten Schatten auf dem Haus, überhaupt das Licht. Vielleicht ist das der einfachste Ausdruck von Heimat im positiven Sinne. Die Zeit hat hier keinerlei Bedeutung. Es ist das Gefühl als könne man die Zeit gehen lassen. … Es gibt keine Eile. Alles ist an seinem rechten Platz, und doch nichts ist perfekt. Ein nahezu mystisches Moment deutet sich mit diesen drei schmalen, fein gegliederten Fenstern an, welche zur Diele lagen. Hier überwiegt das Dunkle, das Geheimnisvolle und dieses Thema wurde weitergesponnen in dem Zugang zum Garten, einem Torbogen, den dunklen hohen Fichten und der Felsgrotte im Garten. Also ein Duell ohne Sieger? Die Angst und die Hoffnung, das Große und das Kleine, die Natur und der Mensch, gefangen und frei, froh und traurig, kalt und warm.

 

...von der engen steilen Treppe gelangte man zu einem kleinen Podest, ..ein Essplatz. Alles hatte einen bestimmten Charakter, die Lampe mit dem Schirm aus durchbrochenem Korb, die Strohmatten unter dem Esstisch, der Blick durch die Lamellen der Fensterläden zur Dachterrasse. Das Besondere dieses Essplatzes ist für mich, dass er bis heute in mir Assoziationen weckt, wenn ich ähnliche Situationen betrachte oder sie erlebe. Sonnenlicht dass durch Fensterläden fällt und den Raum diffus beleuchtet, der Geruch des erhitzten Holzes, die Strohmatten und die Korblampe, ist das nicht die Verbindung zum Süden? Was ich damals in meinem Elternhaus vorfand, begegnete mir später in Mallorca oder in Südfrankreich:ein Stück wiederentdeckte Heimat.

 

Die zwei Charaktere, das Dunkle, leicht Mystische und das helle Menschliche vereint in dieser Architektur findet man heute kaum mehr. Mangelt es unserer Welt an Vollständigkeit, wenn wir so bereitwillig auf das tiefsinnige, beunruhigende Element in unserer rationalisierten Welt verzichten? Das Staunen, die Wunder, die Eigentümlichkeit sind einer wohlkalkulierten, künstlichen Oberflächlichkeit gewichen.

 

 

VI. Über die Identität von Häusern

 

Unsere modernen Informations- und Verkehrssysteme und die große Bedeutung von fortwährender Beschleunigung haben dazu beigetragen, dass Orte und Räu­me aus unserm Bewusstsein immer mehr verschwinden. Es besteht die Gefahr, dass wir die reale Welt immer mehr aus dem Blickwinkel des Gastes betrachten, wir sozusagen einen touristischen Standpunkt einnehmen. Von unserem sicheren Platz am Rechner lässt sich scheinbar die gesamte Welt erkunden, man kann ohne sich bewegen zu müssen einkaufen, arbeiten, sich präsentieren oder sogar jemanden kennenlernen ohne ihn je gesehen zu haben. Die schleichende Verän­derung, welche mit der derzeitigen Entwicklung einhergeht, wird eine komplette Veränderung der uns noch bekannten Welt hervorrufen. Bisher unantastbare In­stitutionen werden verschwinden und durch virtuelle Gebilde ersetzt. Öffentliche Gebäude, Kirchen, Kaufhäuser, Bankhäuser, Bibliotheken werden zu Relikten einer vergangenen Zeit, deren reale Präsenz nicht mehr erforderlich ist. Die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, zwischen geschäftlichen und sozialen Beziehungen verschwimmen. Wenn nahezu alles ohne Struktur ist, jegli­cher Wert hinterfragt werden kann, dann ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen der allgemeinen Verunsicherung mit der maximalen Wunschbefriedi­gung begegnen. Wir stehen an der Schwelle zu einer umfassenden Abkopplung des Menschen von der Natur. Mit den hocheffizienten, hoch gedämmten und gleichmäßig klimatisierten Gebäuden werden sämtliche Umwelteinflüsse ausgeschaltet. Ich denke, es wird Zeit, dass wir uns über Grenzen und Möglichkeiten unserer Welt klar werden und dazu müssen wir aus der passiven Rolle in die aktive Teilhabe wechseln. Es ist ein grundlegender Fehler, dass wir uns nicht als Teil der Natur sehen. Die Landschaft, die uns umgibt, und die Städte in denen wir leben, sind unsere 'reale' Wirklichkeit. Architektur ist ein Teil dieser Wirklichkeit und sie darf ihre Identität, dass heißt Lebendigkeit und Geschichtlichkeit, nicht verlieren. Was aber bedeutet Identität in der Architektur konkret? Meines Erachtens hängt sie zusammen mit der Bindung an den Ort, die Einbindung in die Landschaft und Umgebung und etwas darüber hinaus Verweisendes, welches mit der Zeit in Zusammenhang steht. Aus diesen drei Aspekten entsteht für mich Identität und auch Glaubhaftigkeit. Das macht auch den Begriff Landhaus für mich so interessant, denn in ihm steckt schon der Gedanke der Verbindung von Landschaft und Architektur. Frank Lloyd Wright, der bedeutende amerikanische Architekt, war ein Meister darin, aus der Symbiose von Landschaft, Orts und Zeitbezug einen ganz spezifischen neuen Ort zu erschaffen. Natur und Kultur sind weder Gegensätze noch gleich. Die Chance liegt in der gegenseitigen Durchdringung.

 

 

VII. Nachdenken über Elternhäuser

 

Ich habe mich auf ganz persönliche Weise diesem Thema genähert. Es ist mir klar geworden, dass sich mit dem Thema Elternhaus viele unterschiedliche Erinnerungen und Emotionen verbinden, die jeder von uns anders wahrnimmt. An meinem Elternhaus habe ich viele Aspekte entdeckt, die mich in meiner Arbeit als Architekt bewusst oder unbewusst beeinflusst haben. Die Ausstellung stellt auch Teile meines eigenen architektonischen Findungsprozesses dar. Ich habe erkannt, dass die Beschäftigung mit dem Elternhaus für mein architektonisches Konzept einen Ausgangspunkt darstellt. Das Konzept für die Sanierung einer Villa in Radebeul mag diese Arbeitsweise verdeutlichen. Es geht mir bei allem darum, das Wesentliche glaubhaft abzubilden. Dem Betrachter soll verdeutlicht werden, dass dieses Haus zu der es umgebenden Landschaft gehört, genauso wie das Haus auf diese Landschaft zurückwirkt.

 

Gedanken über Herkunft, Erinnerungen, Rückkehr und Loslösung (Abschied) bieten meines Erachtens Perspektiven an, um Architektur und hier meine ich insbesondere unsere gegenwärtige Architektur neu zu betrachten und auch zu erweitern. Die Ausstellung dokumentiert meinen ganz subjektiven Zuschnitt dieses Themas. Architektur ohne Identität, ohne bewusste Bezüge zu Vergangenheit und Gegenwart, ohne Einbettung in den Lebensentwurf der Nutzer stellt die Kultur selbst still und betrifft nicht nur unsere Gebäude sondern auch unser Leben. Man kann Architektur zwar ausschließlich wirtschaftlich oder ausschließlich ästhetisch betrachten, doch führt ein solcher Ansatz am Menschen vorbei. Ich will anregen über unsere Wurzeln nachzudenken. Wir sind der Landschaft und der Kultur in der wir leben verbunden, auch wenn wir dies leider immer weniger wahrnehmen.

 

 

VIII. Abschied vom Elternhaus

 

Schon früh üben wir auszuziehen uns freizumachen von den Zwängen. Wir bauen unser eigenes Haus, grenzen uns ab von den Eltern. Wir gestalten, werden häus­lich, wir erschaffen uns eine eigene Welt. Wir warnen die Erwachsenen in diese Welt einzudringen. Es ist unsere Freiheit, die wir uns hier erkämpft haben. Im All­gemeinen machen wir an diesem Ort die erste große Erfahrung mit der Macht der Vernunft. Es geht um Ordnung, Sicherheit, Regeln, Unterordnung. Der Kon­flikt zwischen der Welt der Erwachsenen ihrer Normiertheit, ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und der der Kinder mit ihrer eigenen Interpretation, ihrer Phantasie und ihrer Zügellosigkeit tritt zu Tage. In der Regel geht dieser Konflikt für das Kind als Enttäuschung aus. Man kann es auch als Eindringen der Außenwelt in die Ge­borgenheit des Elternhauses ansehen. Das Elternhaus ist keine Insel der Glückse­ligkeit mehr. Je extrovertierter die Eltern sich verhalten, desto mehr dringen die Normen und Gebräuche der Außenwelt in die Innenwelt des Elternhauses ein, je introvertierter die Eltern sich verhalten, desto größer ist die Distanz zwischen Au­ßen und Innenwelt. Die Kinder begegnen erstmalig der Mutlosigkeit der Erwach­senen gegenüber der Allmacht der Gesellschaft. Es wird die Enge und Begrenzt­heit spürbar und dies wird uns unser ganzes Leben begleiten. Immer wieder müs­sen wir um unsere Freiheit kämpfen und dafür unter Umständen den Preis des Liebesentzugs und der Einsamkeitserfahrung bezahlen. Ist es deshalb nicht ver­ständlich, dass wir als Erwachsene ein Unbehagen im Umgang mit diesem Thema spüren und auch die Orte, die Objekte, die Menschen in unserer Gegenwart mei­den. Der Abschied vom Elternhaus ist ein Weg der Emanzipation. Ist Emanzipati­on ohne Beschäftigung mit unserer eigenen Vergangenheit möglich? Was wäre, wenn wir unsere Vergangenheit in der Gegenwart formen könnten und ihr da­durch die Schwere nehmen würden?

 

 

Anmerkung: Die Texte waren in der Ausstellung mit Bildern, Zeichnungen und Objekten illustriert

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